Konzertina- und Bandonionvereine
Kapellen und Orchester
Zwischen künstlerischem Anspruch und geselligem BeisammenseinErste Vereine sind ab 1870 nachweisbar. Nach 1890 nahmen sie starken Aufschwung und zählten um 1900 mindestens 75. Danach wurde die Bandonionbewegung in manchen Regionen zu einer Massenerscheinung. In vielen deutschen Großstädten, vor allem in Sachsen, gab es in jedem Stadteil einen, manchmal auch mehrere Vereine. 1938 wurden 686 Vereine gezählt (Graf 161).
Meist in Vereinszimmern von Kneipen übten auch Einsteiger gleich praktisch an Programmstücken, um möglichst zeitnah ein Vereinsergebnis präsentieren zu können. Und dann ging es raus auf die Straßen, zumal die Vereine oft im Arbeitermilieu verwurzelt waren. (Foto: vermutlich Konzertinahochburg Chemnitz)
Freiluftumzüge nahmen oft Formen einer musikalischen Prozession an.
Vereine zeigten sich dann laut- und mitgliederstark auch auf kleinen Dorfstraßen. Manchmal angeführt von einer Lyra, einem Metallplattenspiel mit Schlägel aus der Militärmusik, die stilistisch oft den Ton in Form von Marschmusik vorgab.
Die Begeisterung und der Massencharakter erklärt sich auch daraus, dass Musikbedürfnisse bis in die 1920er Jahre noch nicht durch einen allgegenwärtigen Rundfunk gestillt wurden, sondern (von Grammophon und Musikautomaten abgesehen) Musik immer ein besonderes, öffentliches und handgemachtes Erlebnis darstellte, wofür es leibhaftiger Musiker bedurfte.
Vereine schlosen sich auch in Bünden zusammen, unter denen der Deutsche Konzertina- und Bandonionbund (DKuBB, 1911-35) der größte war.
Unverkennbar handelt es sich hier um einen Konzertina- und Bandonionverein mit Begleitinstrumenten.
Auch hier gibt es eine Lyra, bestens geeignet für klangliche Verzierungen, die Bandonionspieler meistens nicht als ihre Aufgabe ansahen.
Im Gegensatz zur autoritären Staatsführung des Kaiserreiches waren Vereinsstrukturen auch Schule demokratischer Mitbestimmung, wie sie dann Eingang in die Weimarer Verfassung fand.
Spieler und Vereine tauschten sich vor allem über Fachzeitschriften aus, unter denen Gut Ton (GT) eines Dresd'ner Verlages 30 Druckjahre (1910-40) lang die bedeutendste war. Bis 1924 fungierte sie als offizielles Organ des DKuBB, bevor dieser wegen Differenzen die eigene Vereinszeitung Die Volksmusik (DV) startete.
DKuBB mit DV lösten sich 1935 infolge der Gleichschaltung des Musikwesen durch die Nazis auf.
Im Wald und auf der Heide,
da such ich meine Freude...
Auch in gemischten Kapellen oft mehrfach präsent - Konzertina und Bandonion. Und in solchen Kapellen klanglich sicherlich mit am reizvollsten.
Konzertina und Bandonionspieler suchten aber meist keine gemischt besetzten Kapellen, sondern gruppenorientiert einen Verein mit ihresgleichen. Damals erlernten überwiegend bereits Erwachsene Ziehharmonika, wofür die Vereine sich als erster Anlaufpunkt anboten, zumal man dort als einer unter vielen spielte. Gemischte Kapellen erforderten dagegen individuelle musikalische Kenntnisse und Fähigkeiten.
Das Wesen eines Konzertina- und Bandonionvereins als Treffpunkt Gleichgesinnter führte also meist zu einer Formation aus vielen Konzertinas/Bandonions und, wenn überhaupt, nur ein bis drei anderen Instrumenten.
Zehn Konzertinas/Bandonions, eine Geige.
Konzertina und Bandonion sind Melodie und Begleitung in einem, können sich beim Spiel daher selbst genügen. Es besteht nicht unbedingt der Zwang andersartige Instrumente einzubeziehen, was dann zu einem reinen Konzertina/Bandonion-Orchester führt.
Wird in diesem mangels orchestraler Fähigkeiten und Notenkenntnissen meist geschlossen immer die erste Melodiestimme plus Akkorde gepielt, ist die Bezeichnung "Orchester" als die mehrfache Besetzung einzelner Stimmen verfehlt. Das Spielen nur einer Stimme mit damals nicht selten auch auf Schwebung gestimmten Instrumenten konnte schnell in einem Klangbrei münden.
1925 bemängelte Walter Pörschmann: "Vom musikalischen Standpunkt aus ist es nun ein Unding, ein und dieselbe Melodie von 10, 20 oder noch mehr Bandonions zu hören."
1928 verstärkte man deshalb Bemühungen, "Konzertina- und Bandonion-Musik auf eine orchestrale Grundlage zu bringen" damit "wir endlich mal aus diesem ewigen eintönigen Dilemma herauskommen." (DV 1925/100)
Auch E. Kusserow stellte fest: Es mache wenig Freude, wenn durch "ziemlich latschige" Spieltechnik "beim Hören eines Bandonionkonzerts jenes undefinierbare Gemurmel an der Stelle der Begleitung (entstehe), über dem dann die Melodie hoch oben ohne jede Mittellage thront." (DV 1928/53 beides Graf 229)
Er empfahl: "Von je vier Spielern kann getrost einer nur Vor- und Nachschlag bringen. (...) Ein zweites Bandonion müßte (im Quartett gedacht) vor allem Cellosoli bringen und rechts die zweite Violinstimme mitspielen. Das dritte Bandonion wird sich besonders für die Stimmen der Holzblasinstrumente interessieren, und nur ein Instrument übernimmt die Melodie." (DV 1928/37)
Bild: "Volksmusik-Vereinigung Morgenroth, Hannover 20.7.32"
Ein mehrstimmiges, geteiltes Bandonionspiel war kaum üblich. Und das bis weit in die Mitte des 20. Jh., wie folgende Zeilen aus Halle noch für 1965 zeigen:
"Mit seiner Hilfe [neuer Orchesterleiter] nahmen wir einen Aufschwung, der vor allem unsere Stücke, aber auch die Spielweise betraf. Früher spielten alle die gleiche Stimme. Jetzt spielten wir mehrstimmig (polyphon)."
Der Klang nebenstehenden Orchesters ist nicht überliefert, aber die Besetzung vielversprechend: 11 Bandonionspieler mit einem zentral präsentierten Cellisten, drei Kontrabassisten und 21 Streichern...
Die Bemühungen um eine bessere Orchestrierung gingen von den Vereinsbünden wie dem DKuBB aus, erzielten aber kaum Ergebnisse. Sie scheiterten am Mangel musikalischer Fähigkeiten oder Desinteresse an empfohlenen Musikstücken infolge beginnender Überalterung der Vereine.
Das Problem von unisono Bandonion-Orchestern ist die mangelnde deutliche Abdeckung verschiedener Stimmenparts. Einem Blasorchester ist dies mit Tuba, Klarinette, Querflöte, Hörnern usw. mühelos möglich, auch wenn es unisono nur aus Blasinstrumenten bestehen sollte. Es braucht nicht zwingend Kontrabass und Geige als markante Ergänzung. Mit Konzertina und Bandonion allein ist dies nicht gleichwertig umsetzbar.
Nicht zufällig wurden, wie für spätere Akkordionorchester, extra Instrumente wie ein Bass- und Piccolobandonion entwickelt, um diesem orchestralen Mangel infolge fehlender anderer Instrumente abzuhelfen. Wobei sich beim Piccolobandonion die Frage stellt, warum für hohe Passagen nicht eine chromatische Duett Concertina in Betracht gezogen wurde.
Im Bild: Bei ambitionierten Solisten können Fragen zur Orchestrierung kein wirkliches Interesse wecken.
Im erkennbaren Spannungsfeld eines Vereins zwischen dem Bedürfnis geselliger Vernügung mit einem zünftigen Bier einerseits und einem mit Binder und Fliege unterstrichenen künstlerischen Anspruch andererseits.
Was dem geschulten Ohr des Berufsmusikers Unbehagen oder gar Schmerzen bereiten könnte, nimmt der Freizeitmusiker achselzuckend gelassen hin. Er kennt Stärken und Schwächen des eigenen Spiels, ohne dass letztere ihn entmutigen könnten. Denn er sucht nicht Perfektion, sondern Harmonie mit Gleichgesinnten im Gespräch, beim Austausch von Neuigkeiten, gut intonierten Scherzen und kühlem Bier. Und wenn beim Musizieren Tempo, Rhythmus und Einsätze passen, erfüllt ihn alles zusammen mit freudvoller Dankbarkeit.
Eine Melodie pfeifend, zieht er dann glücklich heimwärts.