(Tango-) Bandonion
Rheinisches System, 142 Töne
wechseltönig
(Sammlung Oriwohl, Nr. 129)
Herstellung: Fa. Alfred Arnold (Carlsfeld, gegr.1911), ab 1929. (H: 23cm; T: 25cm)
Der Gesamtklang dieses Types gilt in der Tangomusik als Maßstab und ist auch heute noch begehrt - vor allem in Argentinien. Diese Instrumente zeugen auch von der hohen Qualität der Firma Alfred Arnold, z.B. bei der gleichmäßigen Gewichtung des Tastendruckes. Das Modell ist eines der meistgebauten Bandonions, wovon der Großteil nach Argentinien exportiert wurde und dort stilprägend in der Tangomusik zum Einsatz kommt.
Linkes Manual mit 33 Tasten für 66 Töne:
Die Wünsche der Musiker führten zu immer mehr Tönen. Das Instrument hat insgesamt 142, was beim Bau der ersten Konzertinas nicht absehbar war.
Ein frühe Erweiterung erfolgte von beidseitig insgesamt 56 Tönen (weiße Tasten 1-13) auf 64 Töne (+rote Taste). Im Abstand mehrerer Jahre folgten z.B. 88 Töne (+orange), 108 Töne (+blau) und 142 Töne (+braun).
In den Jahren 1846-68 wurde das Bandonion von 56 auf 130 Töne erweitert. (Graf: S. 80)
Die jeweils neuen Töne wurden nach der Maßgabe des günstigen Griffes um den Tastenblock der Konzertina (weiß) angeordnet.
Rechtes Manual mit 38 Tasten für 76 Töne:
Da die Tonbelegung der Tasten keinem äußerlich logischen System folgt, sollte eine Nummerierung Hilfe bieten.
Die Konzertina war mit 0-14 in einer logischen Abfolge durchnummeriert. Die Erweiterungen konnten diese aber logisch nicht fortsetzen, weshalb für jede Erweiterung neue Symbolreihen ersonnen wurden.
Hinter den zum Teil kryptischen Symbolen verbirgt sich einzig die Bemühung des Herstellers, die neu hinzugefügten Tasten für seine Kundschaft möglichst nach einem logischen System auffindbar zu machen.
Der Nummerierung 1-14 folgte ein Schrägstrich-Schema:
2/0 z.B. zeigt an, dass die Taste sich jenseits der Null befindet und 1/2 zwischen der Eins und Zwei. Links neben der Null wurde ein Kreuz eingefügt, sodass die Taste zwischen Kreuz und Null das Zeichen 'Kreuz-Null' bekam. Ab 108 Tasten verwendete man wiederum andere, neue Zeichen.
Bei der letzten Erweiterung (braun) wurde für die äußersten 4 Tasten wieder ab der 14 fortgesetzt, die vor vielen Jahren einmal das Ende war. Nicht nur die Tonbelegung, sondern auch das Nummernsystem selbst folgt keiner durchgehenden Logik.
Das Wechselton-Bandonion ist also kein im Ganzen konzipiertes Instrument, sondern über Jahrzehnte stufenweise erweitert worden. Gleiches gilt für die verschiedenen Konzertinas.
Im Bild "untersucht" Astor Piazzolla, was sich hinter den kryptischen Zeichen seiner Tastatur verbirgt... - Als langjähriger Berufsmusiker hatte er das natürlich im Kopf und brauchte keine Hilfszeichen, um den Tango Nuevo zu spielen. Piazzolla (1921-92) entwickelte durch seine Kompositionen den argentinischen Tango weiter und entfachte ab den 1980er Jahren auch in Europa eine neue Tangobegeisterung. (rechts Karl Oriwohl)
Rechte Seite: Tonbelegung der Tasten.
Die farblich markierten Erweiterungen von 56 Tönen auf 64(+rot), 88(+orange), 108(+blau) und 142 Töne(+braun) zeigen die schrittweise chromatische Vergrößerung des Tonvorrates und weitere Wiederholungstöne, die einzelne Töne für beide Balgrichtungen spielbar machen.
Außerdem wird deutlich, dass 'wechseltönig' sich nur auf eine Mehrheit der Tasten bezieht. Denn unter den insgesamt 70 Tasten gibt es auch 12 gleichtönige. Zur Gleichtönigkeit ging man vor allem bei den letzten beiden Erweiterungen der rechten Seite über (7 Tasten).
Linke Seite: Tonbelegung der Tasten
Jede Erweiterungstufe musste, einmal eingeführt, beibehalten werden, selbst wenn sich evtl. später eine vorteilhaftere Tonverteilung angeboten hätte. Denn eine nachträgliche Veränderung des Systems hätte die Entwertung des Repertoires der Spieler und der Literatur zur Folge gehabt. Kaum jemand würde sich ein neues Instrument mit zusätzlichen Tönen kaufen, wenn dessen Tonbelegung nicht mehr mit der bereits erlernten übereinstimmt. Ein klarer Fall von Pfadabhängigkeit.
Das Spielen nach Noten erfordert infolge des Tastatursystems eine intensive Beschäftigung mit dem Instrument und der Musiktheorie. Tonleitern und Akkordgriffe sind für jede Tonart und bei Druck und Zug verschieden. In Abhängigkeit zum musikalischen Verlauf wird meist die Balgrichtung gewählt, in der Griffe am günstigsten ausgeführt werden können.
"Das einzige deutsche Bandonion mit dem Markennamen "A.A." Reg.77037" lautet der Stempelaufdruck auf diesem für den Export gefertigten Instrument. Alle in Argentinien gespielten Bandonions wurden fast ausnahmslos in Deutschland hergestellt.
A und AA auf einen Blick. Letzteres wurde ab 1929 als neue Schutzmarke der Firma Alfred Arnold eingeführt und ist heute ein Hinweis auf die Herstellungszeit eines Instrumentes. Vor 1929 trugen sie ein einfaches A, wie gleichfalls die Instrumente der Firma Ernst Louis Arnold. Letztere führte 1925 für ihre Produkte das Kürzel E.L.A. ein.
Ernst Louis Arnold (1838-1910) hatte bei Carl Zimmerann (1817-98) in Carlsfeld gelernt und 1864 dessen Konzertinafabrik übernommen. Alfred Arnold (1878-1933) war sein jüngster Sohn, der 1911 ebenfalls in Carlsfeld eine eigene Firma gründete. Beide Firmen wurden in der DDR enteignet.
Die Kapelle 'Solen' aus Argentinien zu Gast auf der Dachterasse des Hotel Eden in Berlin um 1930. Als echte Argentinier natürlich mit 142-tönigem Bandonion Rheinischen Systems. Ein anderes Modell wird man in Argentinien kaum finden.
Während in Deutschland ab dem Ende der 1920er Jahre das Piano-Akkordion auf den Markt drängte, gab es für einige Hersteller mit dem Export nach Argentinien ein letztes Mal volle Auftragsbücher, bevor die sich auflösende Bandonionbewegung, Weltkrieg, Enteignungen und sich wandelndes Freizeitverhalten mit Radio und Fernsehen den Niedergang eines Industriezweiges bewirkten.