Ernst Kusserow zum Geburtstage

(aus Der Volksmusiker, Mai 1965, Seite 20)

Am 26. Mai 1965 hat ein Mann das 68. Legensjahr vollendet, der leider nie die breite Popularität errungen hat, die ihm auf Grund seiner lebenslangen Bemühungen für die Kultivierung des Bandonions und im besonderen Maße für die Neugestaltung des Bandonions selbst zukommen müßte: Ernst Kusserow.

Der geborene Berliner war zunächst selbst im Bandonionbau tätig; bei Julius ZADEMACK, dem Schöpfer des gleichtönigen Zademack-Bandonions, bei dem seinerzeit Fritz MICKLITZ Geselle war und später auf Zademacks Grundlagen das Micklitz-Bandonion baute.

Aus den aufmerksam gesammelten Erfahrungen seiner Berufsmusikertätigkeit nach Kriegsdienst und Kriegsgefangenschaft konstruierte und baute Ernst Kusserow zusammmen mit Richard Micklitz, dem Sohn des Fritz Micklitz, die Urformen des heutigen gleichtönigen Kusserow-Bandonions, das dann Ende des Jahres 1926 seine endgültige Tabellenform erhalten hat.

Dieses gleichtönige Kusserow-Bandonion ist bis heute das einzige serienmäßig gebaute Gleichtonbandonion geblieben, dessen Tonlage den Bedingungen des Bandonions hinsichtlich Handfesselung und damit der wirklichen Spielbarkeit gerecht wurde. An musikalischem Wert ist es durch die in Einzeltöne aufgelöste Baßseite (dem Kennzeichen der Konzertina und des Bandonions) dem chromatischen bzw. gleichtönigen Akkordion weit überlegen. Allerdings erfordert das Kusserowbandonion deshalb im Gegensatz zum Akkordion auch ein ausgeprägtes Studium der linken Hand, wie dies beim Klavier ganz selbstverständlich ist. Auch kann die Musiktheorie nicht unbeachtet bleiben. Das Kusserow-Bandonion ist eben innerhalb seines Tonumfanges ein Vollinstrument, das nicht nach einem Zahlensystem, sondern rein nach Noten gespielt wird.

Ernst Kusserow hat von Jugend an in hohem Maße an sich und hinsichtlich seiner praktischen und theoretischen Musikausbildung gearbeitet. Lange Zeit war er Lehrer für Balginstrumente am Stern'schen, später Städtischen Konservatorium Berlin. Nach nochmaligem Kriegsdienst (1939/41 und 1944/45) hat er die Abteilung Volksmusik am Konservatorium der Stadt Berlin wieder aufgebaut. 1950-1956 war er Dozent an der Deutschen Hochschule für Musik in Berlin.

Dazwischen liegt auch eine langjährige Tätigkeit Ernst Kusserows im Musikausschuß des Deutschen Konzertina- und Bandonionbundes (DK u. BB). Durch Aufsätze in Fachzeitschriften ist Ernst Kusserow stets geradlinig für die Sache des Bandonions eingetreten und hat viele nützliche Anregungen für das kultivierte Bandonionspiel für Einzelspieler und Vereine gegeben. Besonders hat er sich auch für die Herausgabe einwandfreier und instruktiver Bandonionmusikalien eingesetzt.

Umfangreich war auch seine Tätigkeit als Bandonionist in deutschen Kapellen und argentinischen Tangoorchestern, als Solist bei Funk und Film. So war Ernst Kusserow z. B. im UFA-Tonfilm "Die Insel", in dem Günther Lüders sein Leinwanddebüt gab, der Partner von Walter Pörschmann.

Leider beging Ernst Kusserow nun seinen 68. Geburtstag in einer Zeit, die auf Grund aller festgestellten Gegebenheiten jetzt wohl für die breite Aufnahme des gleichtönigen Bandonions geeignet und reif wäre, aber auch in einer Zeit, deren Bedarf an neuzeitlichen Bandonions eine leistungsfähige und aufgeschlossene Industrie voerst leider nicht mehr gegenüber steht. Wir sind aber überzeugt, daß einige der ausgezeichneten Schüler Ernst Kusserows seine umfassenden Bemühungen ind Sachen Bandonion in eine reifere Zunkunft tragen werden.

So gelten heute unsere Wünsche Ernst Kusserows, daß er uns zum Wohle des Bandonions in alter Kraft noch recht lange erhalten bleiben möge.

Dr.-Ing. Werner Lipp